Während Europa das Wiederaufleben faschistischer und nationalistischer Kräfte erlebt – eines der prägenden „Vorbeben“ unserer Zeit–, beobachten wir, wie die Vergangenheit in unseren sozialen Räumen wieder in Erinnerung gerufen, zurückerobert und neu verkörpert wird. Während digitale Propaganda große Aufmerksamkeit erregt, setzen rechtsextreme Akteure gleichzeitig Taktiken ein, die Körper durch verkörpernde Praktiken, die direkt aus zeitgenössischen Performance-Traditionen übernommen wurden, in Vehikel der ideologischen Vermittlung verwandeln.
Von spektakulären Massenrekonstruktionen bis hin zu wiederbelebten Militärparaden und politischen Kundgebungen, die wie historische Tableaus choreografiert sind, perfektionieren zeitgenössische rechtsextreme Bewegungen das, was wir als „reaktionäres Repertoire“ bezeichnen könnten – ein ausgeklügeltes Arsenal performativer Strategien, die die Grenzen zwischen Unterhaltung, Bildung und politischer Indoktrination verwischen. Die historische Themenparkkette Puy du Fou ist ein Beispiel für diese Aneignung. Das Unternehmen wurde vom rechtsextremen Politiker Philippe de Villiers gegründet und geleitet. Seine spektakulären Produktionen bedienen sich Techniken, die im experimentellen Tanz und im immersiven Theater entwickelt wurden: ortsspezifische Choreografien, Protokolle zur Beteiligung des Publikums, kollektive Bewegungsvokabulare und somatische Einbindungsstrategien, die die Zuschauer*innen zu aktiven Teilnehmer*innen machen.
Anhand des Beispiels des Themenparks argumentiert dieser Vortrag, dass die aktuellen politischen Umwälzungen eine grundlegende Neubetrachtung der Analyse der Beziehung zwischen künstlerischer Innovation und politischer Mobilisierung erfordern. Wenn choreografische Prinzipien der Ensemblebildung in nationalistischen Kundgebungen auftauchen, wenn gemeinschaftsorientierte Theatermodelle rechtsextreme Organisationsstrategien beeinflussen und wenn verkörperte Forschungsmethoden in der Rekrutierung von Extremisten zum Einsatz kommen, müssen wir die simplen Unterscheidungen zwischen „progressiver“ und „reaktionärer“ Nutzung von Performance aufgeben. Wie können wir mit der beunruhigenden Möglichkeit umgehen, dass die präkognitiven, affektiven Dimensionen von Performance – genau jene Eigenschaften, die wir wegen ihrer Fähigkeit, Empathie und Gemeinschaft zu erzeugen, schätzen – zur Softcore-Grundlage für Hardcore-ausgrenzende politische Agenden werden könnten?
Content note
Historische und zeitgenössische Gewalt: Diskussion über faschistische Bewegungen, Krieg und politische Gewalt
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: Analyse ausgrenzender Ideologien und diskriminierender Praktiken
Kolonialismus: Verweise auf koloniale Geschichte und ihre zeitgenössischen Erscheinungsformen
Völkermord: Kurze Erwähnungen im historischen Kontext
Dauer: 60 min
Sprache: EN